Auszug aus dem Katalog: Szilard Huszank, Des Visages à Marseille erschienen 2009 in der Galerie Destillarta

Vorwort

von Amelie Himmel

Szilard Huszank lebte und arbeitete mehrere Monate in Marseille. In dieser Zeit lernte er neue Bekannte, zumeist Künstler und Künstlerinnen der dortigen Kunstszene und -akademie kennen. Er bat sie, sich fotografieren zu lassen, um sie dann in Öl auf Leinwand zu portraitieren. So entstand ein gemaltes Portrait-Tagebuch, das 40 Brustportraits umfasst.
Die Portraits spiegeln sicherlich ganz allgemein die Gesellschaft in Südfrankreich wider – Franzosen sind Neu Guineer, Japaner, Koreaner, Ungarn oder Engländer. Frankreich ist ein Einwanderungs-, ein Auswanderungs-, ein Durchgangsland: ein europäisches Land.

Doch was ist darüber hinaus an dieser Kunst von Szilard Huszank besonders? Was macht seine "Gesichter von Marseille" aus? Worin liegt ihre Qualität?

Die Portraits wirken aus der Nah- und aus der Fernsicht. Die Distanz wird von abstrakt gehaltenen Flächen und gestisch-emotional aufgesetzten Linien eingefordert. Zur Nahe verführt die malerische, romantische und gleichzeitig präzise, detaillierte, realistisch wiedergegebene Ausarbeitung der Gesichter. Körper- und Hintergrundsflächen, angelegt auf die Betrachtung aus der Ferne, sind abstrakt gestaltet und wirken durch den emotionalen und spontanen Pinselstrich experimentell und individuell. Zwischen diesen Flächen heben sich die Gesichter im Zentrum des Bildes hervor. Die Gestaltung dieser Gesichter wirkt bewusst, überlegt und kontrolliert.
Beide Perspektiven, Nah- und Fernsicht, verbindet Szilard Huszank optisch mittels einer blauen Grundierung, der Imprimitur, sowie farblicher oder linear-formaler Entsprechungen.

Perspektiven und Maltechniken haben eine Funktion im Bilde, sind keine technische Spielerei, sondern sind für das Portrait schlüssig:
Die Fernsicht vermittelt eine bestimmte Raum-Atmosphare.

So deuten großzügige Pinselstriche, übereinanderliegende Farbfelder oder Umrisslinien das T-Shirt an, den wärmenden Schal, den dünnen Pulli, die dicke Jacke. Diesen Sachbeschreibungen ist eine abstrakte Farbfläche hinterlegt, mit der die bestimmte Atmosphäre aufgebaut wird: insgesamt kühl, warm, dicht, diffus, freundlich oder verschlossen.
Die Nahsicht sensibilisiert für die Person als Individuum. Äußere Erscheinungsformen wie die Hautfarbe, die Feuchtigkeit der Augen oder die Struktur der Haare werden von dem Betrachter wahrscheinlich als Anzeichen einer momentanen Befindlichkeit gedeutet oder auch als Charaktereigenschaft.
Nicht Affekte, Gestik und Mimik nutzt Szilard Huszank für eine Aussage. Vielmehr scheint er mit seinen Portraits das Denken und Fühlen der Portraitierten herauszuarbeiten, vielleicht auch ein Nachdenken über ein Gefühl, die Erinnerung an ein Gefühl. Dafür spricht auch, dass nur wenige Gesichter über die Augen Kontakt mit dem Betrachter aufnehmen. Meist scheinen die Portraitierten wie bei einem Selbstportrait, sich selbst vergewissernd, seitlich in einen Spiegel zu blicken.

Kunsthistorisch gefällt bei Szilard Huszank, wie unbefangen und unbelastet er sich aus der Kunstgeschichte bedient. Er setzt sich über künstlerische und kunsthistorische Bewertungen hinweg und kombiniert, was künstlerisch bisher erfunden wurde.
So schert es ihn nicht, für die Hintergrunde seiner Portraits Mark Rothkos (Marcus Rothkowitz) abstrakte Farbfeldmalerei zu nutzen. Mittels der abstrakten, atmospharisch aufgeladenen Farbfelder, charakteristisch mit den ausgesparten Rändern, entwickelt Szilard Huszank zum einen eine Grundstimmung. Zum anderen dienen die Farbfelder als räumliches Element. Sie geben dem Portraitierten Halt, ohne aber einen Ort zu definieren, der das Portrait schnell als Reprasentationsstück auffassen liese.
Auch bedient sich Szilard Huszank des expressionistischen Form- und Farbrepertoires. Manches Mal erinnert ein Ausschnitt konkret an Bonnard, Beckmann, Munch, Kokoschka, Matisse, Picasso. Erneut setzt sich Szilard Huszank über die Kritik hinweg, die im 20. Jh. gegen die pastose Malerei v.a. expressionistischer Portraits geäußert wurde: pastose Malerei sei vor allem für ein Portrait unangemessen und inakzeptabel, da sie der sozialen Stellung der dargestellten Person nicht entspreche bzw. den Menschen an sich verunstalte, nicht würdig abbilde.

Zuletzt ist die Maltechnik, die Lasurmalerei des Künstlers zu nennen. Die Lasurtechnik, Öl auf Leinwand, wurde in der Renaissance erfunden. Ölfarben wurden in mehreren transparenten Schichten aufgetragen, so dass Farbverläufe und Farbentwicklungen mit weichen Übergangen entstanden. Die Farbwirkung wurde durch Lichtbrechungen und -reflexe erzielt. Tizian, van Eyck, dann Vermeer, Caravaggio, van Gogh, Picasso – die großen Maler in Öl wandten sie alle an, nicht zu vergessen Rubens: er war von Tizians Malerei so fasziniert, dass er Altarbilder von ihm kopierte und ableitend – aus der Beobachtung dieser und auch aus der Malerei Tizians – Theorien über die Farbgenese und das Kolorit entwickelte. Die Fragen der Mimesis, d.h. der Naturnachahmung, interessierte diese Künstler dabei nicht. Es ging um Überzeugungskraft, um die Übersteigerung der Mimesis. Die optimale Bildwirkung wurde gesucht.

Aktuell ist die Portraitmalerei zu neuer Bedeutung aufgestiegen. Oftmals dreht es sich inhaltlich um Identität, Identität versus Inszenierung, um Konstruktionen nationaler Identitäten, sozialer Identitäten, doppelter Identitäten, um gesellschaftliche Unangepasstheit, Anonymität oder Emotionslosigkeit. Diese Fragestellungen behandelt Szilard Huszank in seinen Portraits weniger. Sein künstlerischer Anspruch ist m. E. ein anderer.

Bei Szilard Huszank geht es um die grundsatzliche Frage der Malerei: mit welchen künstlerischen Mitteln erreiche ich Präsenz, wie kann Malerei Präsenz generieren. Repräsentation ist wandelbar. Präsenz meint die Tiefenstruktur von Gefühlen und Gedanken, von Erfahrung und Reflexion.
Beides, die Repräsentation, im Sinne des selbstbewussten Vertretens, sowie die Präsenz, die gleichzeitige Gegenwartigkeit von Gefühlen und Gedanken, zeigt Szilard Huszank in seinen "Des Visages a Marseille".